Engl. to flip sth. – etw. umdrehen. Es geht also um eine Art „umgedrehten Unterricht“. Klingt interessant. Aber was ist das?
Aufmerksam geworden auf das Konzept bin ich durch Beiträge von Christian Spannagel auf Twitter und dann in einem längeren Beitrag auch in seinem Blog (mit weiterführenden Literaturangaben). Mittlerweile gibt es auch einen einführenden Beitrag im ZUM-Wiki mit weiterführenden Links. Auch auf Google+ gab es eine kurze Diskussion dazu (mein erster Eindruck bestätigt da übrigens andere Urteile, dass im Vergleich mit anderen sozialen Netzwerken und auch den Kommentaren in Blogs auf Google+ mehr und intensiver diskutiert wird).
Von der Einleitung im ZUM-Wiki, die auf Mathematik und Naturwissenschaften abhebt, fühle ich mich als Geschichtslehrer leider gleich etwas ausgegrenzt und diskriminiert, dabei geht es eigentlich um ein Konzept, das alle Fächer betrifft und sicher auch bereits Anwendung findet, ohne entsprechend benannt zu werden.
Im Kern geht es darum, Informationsrezeption aus dem Unterricht in die Vorbereitung zu lagern, um dann im Unterricht Zeit für Aktitiväten zu gewinnen, die die Vorteile der gemeinsamen Anwesenheit oder der Ausstattung nutzen, wie z.B. Diskussionen, Rollenspiele, Experimente.
Vor- und Nachteile des Ansatzes sind im ZUM-Wiki schön auf gelistet. „Revolutionär“ scheint mir das Konzept vor allem für Schulen/Länder mit fortgeführter Tradition frontaler Belehrung im Unterricht. So dann auch für die Vorlesungen an deutschen Universitäten. Der Informationsinput wird im „flipped“ oder „inverted classroom“ nach Hause verlagert und die Arbeitsaufträge, die bisher vor allem als Hausaufgaben vergeben wurden, im Unterricht bearbeitet werden.
Nach Lesen der Beiträge ist mir aufgefallen, dass ich dieses „Konzept“ vor allem in der Oberstufe oft einsetze, um die Unterrichtszeit besser zu nutzen, da das Lesen von Texten zuhause erledigt werden kann, der Meinungsaustausch darüber aber am besten in Präsenz geschieht. Mit Hilfe der digitalen Medien bietet sich weitere Möglichkeiten an: So können vorhandene oder von der Lehrkraft selbst erstellte Audio-Podcasts oder Filme individuell gehört bzw. angeschaut werden. Besonders die selbst erstellten Materialien werden in dem Ansatz fokussiert, die (Lehrer-) Vorträge im Unterricht ersetzen. Hier können dann auch webbasierte Lernplattformen sehr gut eingesetzt werden. Dementsprechend gibt es eine gewisse Schnittmenge mit den Konzepten des Blended Learning.
Für den Geschichtsunterricht meine ich mich zu erinnern, einmal gelesen zu haben, dass Untersuchungen (von von Borries?) gezeigt hätten, dass in den Unterrichtsstunden sehr viel Zeit für das gemeinsame (oft laute, fachdidaktisch unreflektierte) Lesen von Texten verwendet wird. (Eigene Beobachtungen bestätigen das.)
Wenn es nicht gezielt, um das Lernen und Einüben von Methoden der Texterschließung und -bearbeitung oder speziell beim lauten Lesen um spezielle Textsorten wie z.B. Reden, von denen keine Tonaufnahmen vorliegen, geht, sollte meines Erachtens öfters der Input in die individuelle Arbeit außerhalb der Unterrichtstunden verlagert werden. Vorausetzung ist sicher die gute methodische Schulung der Lernenden in der eigenständigen Erschließung von Texten und audiovisuellen Medien. Im Unterricht kann dann nach Klärung möglicher Verständnisschwierigkeiten zu Beginn der Stunde (idealerweise durch die Mitschüler) mit den Informationen aus den Texten/Filmen gearbeitet und so die gemeinsame Unterrichtszeit effektiver genutzt werden.
Hmmm … vielleicht wird das Konzept „wichtiger“, da man dank neuer Möglichkeitne leichter nutzen kann.
Mich mit einer Kamera vor einer Tafel zu filmen ist wesentlich umständlicher als das am Computer mit Tafelsoftware zu erledigen und ein Screencast-Service zu nutzen.
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@Birgit Die „Erfinder“ des Begriffs „flipped classroom“ sind auch von der Verwendung einer Screencasting-Software ausgegangen:
http://www.thedailyriff.com/articles/how-the-flipped-classroom-is-radically-transforming-learning-536.php
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Danke für den Link. Aus dem Text ein kurzes Zitat:
„And then one day our world changed. Aaron was thumbing through a technology magazine and showed Jon an article about some software that would record a PowerPoint slide-show including voice and any annotations, and then it converted the recording into a video file that could be easily distributed online. As we discussed the potential of such software we realized this might be a way for our students who missed class to not miss out on learning.“
Klar ist das mit der Software entsprechend einfacher und wird letztendlich in Kombination mit den einfachen Möglichkeiten der Weitergabe/Veröffentlichung erst machbar. Gerade auch mit der IWB-Software lassen sich großartige multimediale Visualisierungen erstellen.
Allerdings behaupte ich mal, dass der im Beitrag beschriebene Unterricht in Schulen in Deutschland eher selten bis gar nicht mehr vorkommt:
„Flipping the classroom has transformed our teaching practice. We no longer stand in front of our students and talk at them for thirty to sixty minutes at a time.“
Interessanter wird in den englischsprachigen Texten, die ich bisher dazu gelesen habe, in der Tat vor allem auf Mathe und Naturwissenschaften sowie teilweise auf Erfahrungen mit Fremdsprachen verwiesen, allerdings nicht auf die Gesellschaftswissenschaften. Stellt sich mir die Frage, warum nicht? Oder kennt jemand da auch entsprechende Erfahrungsberichte?
Gewinnbringend erscheint mir der Ansatz trotzdem für alle Fächer, wenn er nicht als Prinzip verabsolutiert. Es lohnt sich aber in der Unterrichtsvorbereitung zu fragen: Lässt sich der Input der geplanten Stunde/Einheit sinnvoll und für die Lernenden angemessen aus dem Unterricht auslagern? Existieren dazu bereits geeignete Materialien oder kann ich mir selbst passgenau etwas für meinen Unterricht erstellen? Das geht sicher oft und in den meisten Fächern. Lassen sich die Fragen bejahen, ist der Ansatz meines Erachtens vorzuziehen.
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