Die Schule und das alte Ägypten – eine Frage der Lehrerausbildung

Welcher Geschichtslehrer kennt das nicht? Nach Jahren des Studiums das erste Mal Anfangsunterricht und plötzlich muss man begeisterten Sechst- oder Siebtklässlern etwas über die Steinzeit und das alte Ägypten beibringen. Steinzeit? Altes Ägypten? Zumindest in meinem Geschichtsstudium kam das nicht vor, sondern die für angehende Lehrer vermittelte Geschichte beschränkte sich auf schriftliche Quellen und die Zeit ab der klassischen Antike bis heute. Daher – so war es zumindest bei mir – kannten die Schüler sich – trotz kurzfristigen aber intensiven Einlesens meinerseits – aus ihren „Was ist was“-Büchern und aus Fernsehdokumentationen viel besser im alten Ägypten aus als ich (siehe auch hier). Ähnliches gilt nur oft unter beiderseitigem Unwissen für die Entstehung und Verbreitung des Islam, die in allen Lehrplänen und Geschichtsbüchern fest verankert ist. Leidliche Folge ist, dass im Geschichtsunterricht in diesen Bereichen weitgehend veraltete Ideen und überholte wissenschaftliche Vorstellungen vermittelt werden.

Im Idealfall lesen Lehrer sich in die Bereiche der Vor- und Frühgeschichte, des alten Ägypten, der Archäologie selbst für den Unterricht ein, ausgebildet werden sie dafür aber nicht. Angesichts erhöhter Stundendeputate, zunehmenden Zeit- und Leistungsdrucks in der Schule kennen sie oft selbst aber auch nur  die entsprechenden Texte und Quellen des eingesetzten Lehrbuchs, da zu einer tiefergehenden und umfassenden Vorbereitung die Zeit fehlt. Zugegebenermaßen sind die Zeiten vor der Antike i.d.R. nicht mehr in den Lehrplänen der Oberstufe vertreten (warum eigentlich?), trotzdem denke ich, dass es ein Mangel des Studiums ist, dass Grundwissen in den schulrelevanten Nachbardisziplinen nicht verpflichtend vermittelt wird.  Um den Unterricht zu professionalisieren und auch das fachkundig vermittelte Quellenrepertoire zu erweitern, das sich bei vielen Kollegen bedingt durch das Studium weitgehend auf schriftliche Quellen und den mehr oder weniger kompetenten Umgang mit wenigen Bildquellen beschränkt, wäre hier eine Aufnahme dieser Inhalte in das Lehramtsstudium wünschenswert.

Es mag der falsche Moment scheinen, nachdem die KMK gerade eine Entschlackung der reformierten Studiengänge beschlossen hat, trotzdem oder vielleicht gerade deshalb, weil sich so viel verändert, fände ich es sinnvoll, dass an den Universitäten darüber auch nachgedacht wird, ob nicht ein einführender Grundkurs, z.B. in einer Ringvorlesung für angehende Geschichtslehrer verpflichtend in das Studienprogramm aufgenommen wird.

Beitragen könnten zu so einem Basiskurs je nach Universität die Fächer Klassische Archäologie, Ägyptologie, Altorientalistik, Vor- und Frühgeschichte, i.S. einer Verstärkung der weltgeschichtlichen Perspektive auch die Sinologie, Japanologie sowie die Zentalasien- und Islamwissenschaften. Natürlich wäre es aufwändig, aber entsprechende Veranstaltungen müssten im ureigensten Interesse dieser Fächer liegen:  Müssen doch viele diese Fächer an den Universitäten um ihre Existenz kämpfen. Als Zugebende in Lehramtsstudiengänge erhielten sie nach z.T. über 200jähriger Forschungsgeschichte zusätzliche Anerkennung als „Bildungsfächer“ statt als bloße „exotischer Orchideenkulturen“ zu gelten. Zudem könnten sie so die Reichweite ihrer Forschungfragen und -ergebnisse entscheidend vergrößern und sie über die Schulen verstärkt in die Gesellschaft tragen.

Vielleicht wäre es möglich, von Seiten der Berufsverbände entsprechende Anregungen an die Universitäten weiterzugeben? Vielleicht gibt es bereits solche Überblicksveranstaltungen an einzelnen Unis? Dann wäre es gut, diese als Modell bekannter zu machen.

15 Gedanken zu „Die Schule und das alte Ägypten – eine Frage der Lehrerausbildung

  1. Soll/ muss das Studium wirklich alle Inhalte abdecken?
    Soll das Studium nicht die Selbstständigkeit vermitteln, die einem später ermöglicht die Lücken in Eigenarbeit zu schließen?

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    • Sicher kann und wird kein Studium alle Inhalte abdecken, sondern soll dazu befähigen, sich in neue Inhalte selbstständig einarbeiten zu können. Das Problem ist aber, dass im Lehramtsstudium Geschichte ganze Bereiche außer Acht gelassen werden, die hinterher zum Kerngeschäft der Geschichtslehrer gehören. Eine (!) verpflichtende Überblicksveranstaltung würde für alle Beteiligten Vorteile bringen: Die angehenden Lehrer wären grundlegend und auf dem Stand der Wissenschaft vorbereitet. Die je nach Angebot der Uni beteiligten Fächer gewännen an Legitimation, stärkten ihre gesellschaftliche Relevanz sowie die Weitergabe ihrer Forschungsresultate. Was spricht dagegen, außer den Problemen, die sich aus der universitären Fächerzersplitterung ergeben…?

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  2. Die Frage ist natürlich grundsätzlich richtig. Ein Problem ist aber, dass die genannten „kleinen“ Fächer für Recherchen nicht so gut zugänglich sind: Es gibt nicht in fast jeder Universität ein entsprechendes Institut, einführende Literatur ist nicht zu allen Bereichen vorhanden (und leider nicht immer uneingeschränkt zu empfehlen, da oft einseitig). Es ist vermutlich schwieriger, sich ohne Anleitung den Stand der wissenschaftlichen Debatte über z.B. die Religion einer alten Kultur zu erarbeiten als z.B. über die Gründe für den Ausbruch des Ersten Weltkriegs (schwierig genug).
    Am Beispiel der Ägyptologie noch eine zugegeben polemisch formulierte, aber im Kern völlig ernst gemeinte Bemerkung: Es wäre doch schön, wenn in einer Gesellschaft, in der Worte wie „Pyramiden“, „Nofretete“ oder „Tutenchamun“ mindestens so geläufig sind wie der Name des Staatsoberhaupts, das entsprechende Fach nicht mehr allein in oft auf das Sensationelle abzielenden Fernsehdokumentationen in Erscheinung treten dürfte. Vielleicht könnte heute gerade das „Fremde“ einer solchen Kultur interessant für neue Unterrichtskonzepte sein? Dafür muss aber zunächst erklärt werden, was genau an ihr fremd ist.

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  3. Die „Inhalte“ der Ur- und Frühgeschichte sind das eine. Noch krasser ist eigentlich, dass der Anfangsunterricht ja eine Basis für das Verständnis legen muss, dass Geschichte nicht die Vergangenheit ist. Epochen- und Formationen, Kontinuität und Diskontinuität, Entwicklung im Optimierungsmodus und Entwicklung im Transformationsmodus – all das sind Gegenstände, die man als Geschichtslehrer bearbeitet haben muss, damit man nicht Archivar oder Ereignis- und Alltagsgeschichtspädagoge auf der Erscheinungsebene wird. Was heißt historisches Denken? Und wie bringe ich das Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen bei? Und zwar von Anfang an? Für das EIGENE Geschichtsverständnis kommt man um Kenntnisse der Ur- und Frühgeschichte darum gar nicht herum.

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  4. Vielen Dank für eure Kommentare. Zwei Anmerkungen würde ich gerne noch machen:

    1) Viele Schulen – und ich denke da nicht nur an die Gymnasien -, befinden sich auf dem Land, in Kleinstädten, abseits von universitären Einrichtungen. Den Lehrern vor Ort stehen oft nur mäßig ausgestattete Stadtbibliotheken zur Verfügung (eben z.B. mit den schon erwähnten „Was ist was“-Büchern). Auch wenn sich der Zugang zu Informationen durch das Internet gerade für die ländlichen Gegenden deutlich verbessert hat, gehen damit auch wieder ganz eigene Schwierigkeiten einher.

    2) Ich denke, dass die historischen Nachbardisziplinen, die eben nicht nur und oft gar nicht mit Schriftquellen arbeiten methodisch ganz anders aufgestellt sind. Es geht nicht nur um das Einlesen in andere historische Inhalte, die jedem Studienabsolventen zuzutrauen sein sollten, sondern um eine gänzlich andere Herangehensweise an die Geschichte, die den meisten Lehrern aufgrund ihrer Ausbildung aber weitgehend fremd sein dürfte. Nach meinen Beobachtungen führt das entweder zu einem sehr spielerischen Herangehen im Anfangsunterricht oder eine reiner „Faktenlehre“ (gerne mit Lernplakaten zum alten Ägypten, wo dann alles drauf kann, was interessant scheint) und einem deutlichen Bruch mit dem Einsetzen von schriftlichen Quellen ab dem antiken Griechenland im Unterricht. Dass ausgerechnet hier offensichtlich auch ein Motivationsbruch, der schon öfters beschrieben wurde, bei den Schülern erfolgt, ist sicher kein Zufall. Mit entsprechender methodischer Schulung schon im Studium ließen sich m.E. andere als schriftliche Zugänge zur Geschichte viel stärker und weit über das Altertum hinaus in den Unterricht integrieren.

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  5. Also ohne Schrift kommt man in der Geschichte Altägyptens nicht weit. Ohne Schrift keine Pyramiden, keine Beamten, keine Möglichkeit, Massen von Arbeitskräften und Ressourcen zu administrieren usw. Das ist doch gerade der Knackpunkt! Wie wäre es mit dem Stein von Rosetta? 😉

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  6. „andere als schriftliche Zugänge.. stärker“ berücksichtigen – Ich will ja gar nicht „ohne Schrift“ arbeiten nur eine sinnvolle Ergänzung. Wenn man sich mal anschaut, was nur in den letzten Jahren zum Thema „Bilder im Geschichtsunterricht“ publiziert wurde, geht es in dieselbe Richtung. Es verweist m.E. auf das Problem, dass das Lehramtsstudium Geschichte zu stark und zu einseitig auf schriftliche Quellen fixiert ist, in der Unterrichtspraxis aber die ganze Fülle historischer Zugänge gefragt ist.

    Übrigens ist es in der Unterrichtspraxis in der Tat so, dass z.B. beim alten Ägypten kurz die Bedeutung der Schriftlichkeit und das Aussehen der Hieroglyphen thematisiert wird, ansonsten aber vor allem mit Bildern, Abbildungen, Karten und erzählenden Verfassertexten gearbeitet wird.

    Meinem Eindruck sind die Bereiche nach der Einführung in das Fach bis zur klassischen Antike auch aus fachdidaktischer Perspektive wenig bearbeitet. Es gibt zwar viele praxisorientierte Handreichungen und Ideensammlungen aber ein wirklich durchdacht didaktische Herangehensweise an die Themen Steinzeit und altes Ägypten stehen – soweit ich weiß – noch aus. Aber ich lasse mich da gerne eines Besseren belehren 😉

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  7. „… dass das Lehramtsstudium Geschichte zu stark und zu einseitig auf schriftliche Quellen fixiert ist, in der Unterrichtspraxis aber die ganze Fülle historischer Zugänge gefragt ist.“
    Richtig, und darum löst ja das Internet auch das Geschichtsschulbuch mit seinen eh nicht zu verstehenden Kurztexten, Quellenausschnittchen und gelenkten Aufgabenstellungen ab.

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  8. Es gibt schon einen fachdidaktisch vorgegebenen Zugang zu den Themen Steinzeit bzw. Altägypten. Wenn man die Schulbücher durchsieht, dann folgen sie meist der Epochencharakteristik, was das Hauptlernziel angeht:
    Steinzeit wird nicht für sich alleine behandelt, sondern im Vgl. zur Eisenzeit – es geht um eine Scharnierstelle der Menschheitsentwicklung, die „neolitische Revolution“, der – zumindest in der bü. Geschichtsdarstellung – die erste wirksame gesellschaftliche Arbeitsteilung zugeordnet wird. Und Ägypten wird die Grundlegung „unserer Zivilisation“, vulgo Staatsbildung (nicht Nationenbildung). Erst wird Alltagsleben und Erscheinungsebene anschaulich gesammelt, dann wird versucht, mit den SuS generelle Erkenntnisse daraus zu gewinnen, die die Epochenbesonderheiten als milstones auf dem Weg der Menschheitsentwicklung zm Gegenstand haben. Das ist doch ein didaktischen Programm – oder nicht?

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    • Das ist ein didaktisches Programm und hört sich für mich (als Nicht-Lehrer) gut an. Die Frage dabei ist nur: Entspricht das dabei vermittelte Bild z.B. der Staatsbildung im Alten Ägypten dem keineswegs homogenen Stand der Forschung? Bei Museumsführungen mit Schulklassen stand ich oft vor dem Problem, einige zu sehr veralteten Forschungsmeinungen etwas korrigieren zu müssen, was dem anwesenden Lehrer meist nicht sehr angenehm sein dürfte. Eine geordnete Einführung in die wichtigsten Themen der (um beim Beispiel zu bleiben) Ägyptologie mitsamt Hinweisen, wo solide Informationen zu finden sind, könnte da vielleicht etwas helfen. Schließlich ist der zeitliche Aufwand, den man zur inhaltlichen Vorbereitung einer Unterrichtsreihe aufbringen kann, eher begrenzt, nehme ich an (so ist es auch im akademischen Unterricht ;-)).
      Und dann ist da noch das generelle Problem, wie man mindestens 3000 Jahre altägyptischer Geschichte in „das“ Alte Ägypten hineinpacken soll? Die Zeit, in der erstmals ein Flächenstaat im Niltal von Assuan bis zum Delta entstand (oder durch Eroberung erzwungen wurde?), ist nicht dieselbe wie die der Pyramiden ca. ein halbes Jahrtausend später, zu schweigen z.B. vom Stein von Rosetta 2800 Jahre später.

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  9. Das ist natürlich vollkommen richtig. Fächer wie die Ägyptologie sind allerdings selbstständige Disziplinen an der Uni (und das mit Recht und nicht nur aus wissenschaftsgeschichtlichen Gründen), haben aber – soweit ich weiß – keine eigene, entsprechende (Fach-) Didaktik entwickelt, die die spezifischen Fragestellungen, Forschungsergebnisse und -methoden ihres Fachs für die Vermittlung reflektiert.

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    • Das stimmt, und hier sind die Orchideenfächer in der Tat gefragt. Leider wird eine – gut durchdachte und damit zeitaufwändige – Vermittlung der eigenen Inhalte an den außeruniversitären Bereich in aller Regel als nicht gleichwertig mit der Publikation des nächsten Fachaufsatzes betrachtet, oft auch belächelt, so dass man derlei schon mit Rücksicht auf die eigene Karriere lieber unterlässt – leider. Im anglophonen Bereich sieht es da nach meiner Erfahrung etwas besser aus. Deshalb böte eine institutionelle Einbindung in die Lehrerausbildung möglicherweise einen Anlass, diese Lücke aus inneruniversitären Erfordernissen heraus zu schließen. Ohne solche Erfordernisse, d.h. unbezahlt in ihrer Freizeit, werden wohl nur die wenigsten Archäologen & Co. dies tun, warum sollten sie?

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      • Zum Thema auch noch der Hinweis auf die mittlerweile schon 12 Jahre alte aber immer noch relevante und lesenswerte Magisterarbeit von Birger Schütt Altägypten im deutschen Schulbuch – 25 Jahre später. Nach flüchtiger Sichtung einiger aktueller Schulbücher würde ich sagen, es hat sich einiges getan, trotzdem setzen sich andere, schon vor über 30 Jahren konstatierten Mängel auch heute noch fort.

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